Der Countdown zur „größten Expo aller Zeiten“, die am 1. Mai in Shanghai beginnt, wird nicht nur in der Gastgebermetropole mitgezählt. Auch in Peking zeigen elektronische Uhren die ablaufende Zeit auf die Sekunde an. Selbst Fernsehnachrichten beginnen mit dem Hinweis, wie viele Tage es noch dauert, bevor sich die Tore zu den zwei Arealen der Weltausstellung entlang der Ufer des Huangpu-Flusses öffnen. Die Hochrechnungen über die Besuchermassen in den kommenden sechs Monaten, von denen 95 Prozent Chinesen sein sollen, werden ständig nach oben korrigiert. Shanghai erwartet statt 70 nun schon 100 Millionen.
So eilig und gedrängt ging es bei keiner Weltausstellung in den vergangenen 159 Jahren zu. Die Expos sorgten auch nicht über spektakuläre Eröffnungen für Schlagzeilen, sondern durch Erfindungen und Anregungen, vom Telefon bis zu den Nylon-Strümpfen. Als das Reisen mühsam war, die Kommunikation im Posttempo schlich und sich Grenzen schwer überwinden ließen, wurden sie zu Inseln der Globalisierung in einem Meer von Nationalstaaten.
Shanghai 2010 dreht die Uhr zurück. Die Volksrepublik nutzt die Plattform der Expo, um ihren Aufstieg zur Weltmacht und zum Global Player zu inszenieren. Schon der Auftakt soll ins Buch der Weltrekorde eingehen mit Laserlichtspielen und einem gigantischem Feuerwerk über dem Huangpu-Fluss. Obwohl das Expo-Thema zu nachhaltigen Lösungen für ein besseres urbanes Leben aufruft, scheuen die 193 Staaten, 49 internationalen Organisationen und Industriegruppen für ihre Antworten keinen Aufwand und keine Kosten. Die 242 Nationenpavillons und Gemeinschaftsstände wetteifern mit 20 000 Shows und den teuersten und aufwendigsten Präsentationen, die jemals auf einer Expo zu sehen waren, um die Aufmerksamkeit der Besucher. Der Karbon- Fußabdruck der Expo 2010 wird ihren hehren Absichten zum Trotz rekordverdächtig tief sein.
50 Millionen für „Balancity“
Auch Deutschland ist mit einem Rekord-Auftritt präsent. Der deutsche Pavillon „Balancity“, der von der expo-erfahrenen Koelnmesse organisiert und betreut wird, ist der größte und mit 50 Millionen Euro auch der teuerste bislang. Deutsche Firmen, Unternehmen und Institutionen sind ebenfalls im großen Stil vertreten, Siemens etwa ist als globaler Expo-Partner mit seiner Technik an 40 Expo-Projekten beteiligt, u. a. am chinesischen Pavillon. Der Konzern liefert „grüne“ Infrastruktur- und Technikprodukte im Wert von einer Milliarde Euro.
Pekings Regierung hat für das weltweite Stelldichein in Shanghai die Einladungsliste geschrieben. Politisch unliebsame Gäste wie der Vatikan mit dem Papst fehlen. Dafür dürfen andere Einstand feiern, die mit der Expo früher nicht viel am Hut hatten – von Nordkorea über Syrien bis zu den Palästinensern. 100 Mio. Dollar Zuschüsse zahlt China, damit sich erstmals 50 der 53 Nationen Afrikas präsentieren können. Der Shanghaier Koordinator Wan Lifei holte sogar 21 der 23 meist karibischen Staaten zur Expo, die als Verbündete Taiwans zu China keine diplomatischen Beziehungen unterhalten und die Peking nun umwirbt.
Auch Taiwan hat seinen eigenen Pavillon. Die Beziehungen zu Peking haben sich soweit verbessert, dass Taipei im April Shanghais Bürgermeister Han Cheng zum Besuch begrüßte. Mit einem Coup konnte China auch die USA nach locken, obwohl Washington seit 2001 keine staatliche Beteiligungen an Expos mehr fördert, weil es sie als unzeitgemäße Imageprojekte ansieht. Shanghais Lobbyisten „bearbeiteten“ mit Erfolg 50 in China ansässige US-Firmen, als Sponsoren für einen USA-Pavillon einzuspringen. Den Rest spendeten die Multimedia-Firma Crystal CG und der Haier-Konzern, zwei Unternehmen aus China. Der Grund für so viel Mühe: Ohne eine Teilnahme der USA wäre die Expo für Peking kein voller Erfolg.
Expo-Außenpolitik
Für China dient die Weltausstellung als ideale „Expo-Außenpolitik“- Bühne, erklärte Außenminister Yang Jiechi. Peking kann aus dem Vollen schöpfen. Zur Eröffnung kommen Präsidenten wie Frankreichs Nicolas Sarkozy, EU-Chef Jose Manuel Barroso oder Südkoreas Staatschef Lee Myung-bak. Für die Nationentage haben sich bereits mehr als 110 Staatsbesucher und Regierungschefs angesagt. Schon im Mai wollen Bundespräsident Horst Köhler – er kommt zum Deutschen Nationentag am 19. Mai –, Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann und Indiens Staatschefin Pratibha Patil anreisen.
Allein 47 Delegationen deutscher Minister und Vertreter der 16 Bundesländer wollen zur Expo reisen, darunter auch aus der Hauptstadt. 26 Berliner Unternehmer machen sich auf den Weg. „Wir wollen unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu China aufbessern und natürlich Aufträge sichern“, sagt Julian Nierentz von der IHK Berlin.
Auch die deutsche Ausstellerdichte ist hoch: Neben dem Länderpavillon „Balancity“, der das Thema des urbanen Gleichgewichts an Beispielen vorführt, und dem in der Nähe gelegenen zweistöckigen Bambuspavillon für die Veranstaltungsreihe „Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung“ stellt Hamburg die ökologische Bauweise eines „Passivhauses“ aus. Bremen zeigt nachhaltige Mobilität durch Carsharing, Düsseldorf urbane Lebensqualität am Beispiel des umgebauten Rheinufers und Freiburg sein familienfreundliches „Quartier Vauban“. In Kurzauftritten präsentieren auch Bonn, Hannover und Stuttgart umweltfreundliche urbane Projekte.
Rekordjagd in Shanghai
Viele Staaten sind auf Rekorde aus: Indien will seinen 20 Meter hohen aus Bambus gebauten Ausstellungsdom ins Guinness-Buch der Rekorde bringen, ebenso wie Saudi- Arabien, das in seinem ozeandampfergroßen Pavillon mit der größten Imax-Filmwand der Welt aufwartet. Auch die Expo-Internetseite ( www.expo.cn ) ist rekordverdächtig: Ab 1. Mai will sie 150 Pavillons virtuell begehbar machen, darunter auch die „Krone des Orients“, wie China seinen 69 Meter hohen Pavillon nennt. Er überragt alle anderen Pavillons in dreifacher Höhe.
Die Werbekraft der Expo nutzt China zur Selbstdarstellung. Peking hofft am Ende der Expo mit einer „Shanghaier Erklärung über nachhaltige Entwicklung und Urbanisierung“ aufwarten zu können. Sie wäre Chinas Antwort auf den verunglückten Kopenhagener Gipfel. Da passt es, dass das Original der kleinen Meerjungfrau ihre Heimat Kopenhagen verlassen musste und für die Zeit der Expo in Shanghai steht.